Inspiration ...

 

 

 

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Dir richtige Tür

 

 

Ein Schüler und ein Meister standen in einem großen Raum mit 7 geschlossenen Türen.Der Meister sagte zu seinem Schüler: „Eine dieser Türen wird Dir beim Durch-schreiten Glück und Freude im Leben bringen.“
Dann ließ der Meister seinen Schüler alleine.Der Schüler wusste nicht, wie er sich entscheiden sollte

Also schaute er sich die Türen genau an:
Ob eine Tür anders war.
Ihre Farbe.
Ob die Türklinken benutzt aussahen.
Ob eine Tür höher oder breiter als die andere war.
Der Schüler studierte die Türen sehr genau.
In der Hoffnung, einen Hinweis zu bekommen, welche Tür er durchschreiten sollte.
Stunden um Stunden schaute er sich die Türen genauestens an.
Doch er konnte keinen wesentlichen Unterschied ausmachen.
Nichts, das ihm den entscheidenden Hinweis gab.


Der Schüler schlief erschöpft ein...Sein Meister kam zurück.


Der Schüler wachte auf voller Verzweiflung…

Und sagte zu seinem Meister: „Meister, ich weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll! Bei der einen Tür wirkt die Farbe ein wenig frischer als bei den anderen. Diese Tür dort ist ein wenig breiter als die anderen. Und bei dieser Tür hier glänzt die Klinke besonders hell. Meister, welche Tür soll ich bloß nehmen?“

 

Der Meister sah seinem Schüler mit seinem herzlichen Blick in die Augen und sagte: „Mein lieber Schüler, wenn Du Glück und Freude in Dein Leben bringen willst, kommt es nicht darauf an, für welche Tür Du Dich entscheidest… sondern darauf, was Du tust, nachdem Du diese Tür durchschritten hast.“

 

Drei merkwürdige Gäste und ein guter Stern

 

 

Die Reitergruppe der drei Könige verschwand gerade am Horizont. Da näherten sich drei merkwürdige Gestalten dem Stall.

Die erste trug ein buntes Flickenkleid und kam langsam näher. Zwar war sie wie ein Spaßmacher geschminkt, wirkte aber hinter ihrer lustigen Maske eigentlich sehr, sehr traurig. Erst als sie das Kind sah, huschte ein leises Lächeln über ihr Gesicht. Vorsichtig trat sie an die Krippe heran und strich dem Kind zärtlich über das Gesicht:

„Ich bin die Lebensfreude“, sagte sie. „Ich komme zu dir weil die Menschen nichts mehr zu lachen haben. Sie haben keine Freude mehr am Leben. Alles ist so bitterernst geworden.

“Dann zog sie ihr Flickengewand aus und deckte das Kind damit zu. „Es ist kalt in dieser Welt. Vielleicht kann dich mein Mantel wärmen und schützen.“  

Darauf trat die zweite Gestalt vor. Wer genau hinsah, bemerkte ihren gehetzten Blick und spürte, wie sehr sie in Eile war. Als sie aber vor das Kind in der Krippe trat, schien es, als falle alle Hast und Hektik von ihr ab. „Ich bin die Zeit“, sagte sie und strich dem Kind zärtlich über das Gesicht. „Eigentlich gibt es mich kaum noch. Die Zeit, sagt man, vergeht wie im Flug. Darüber haben die Menschen aber ein großes Geheimnis vergessen. Die Zeit vergeht nicht. Zeit entsteht. Sie wächst überall dort, wo man achtsam ist." Dann griff die Gestalt in ihren Mantel und legte ein Stundenglas in die Krippe. „Man hat wenig Zeit in dieser Welt. Diese Sanduhr schenke ich dir, weil es noch nicht zu spät ist. Sie soll dir ein Zeichen dafür sein, dass du immer so viel Zeit hast, wie du dir nimmst und anderen schenkst.“  

Dann kam die dritte Gestalt an die Reihe. Sie hatte ein geschundenes Gesicht voller frischer Narben. Als sie aber vor das Kind in der Krippe trat, war es als heilten die Wunden und Verletzungen, die ihr das Leben zugefügt haben musste. „Ich bin die Liebe“, sagte die Gestalt und strich dem Kind zärtlich über das Gesicht. „Es heißt, ich sei viel zu gut für diese Welt. Deshalb tritt man mich mit Füßen und macht mich fertig.“ Während die Liebe so sprach, musste sie weinen und drei dicke Tränen tropften auf das Kind. “Wer liebt, hat viel zu leiden in dieser Welt. Nimm meine Tränen. Sie sind das Wasser, das den Stein schleift. Sie sind wie der Regen, der den verkrusteten Boden wieder fruchtbar macht und selbst die Wüste zum Blühen bringt.“  

Und die Tränen verwandelten sich in drei wunderschöne blühende rosa Rosen.

Da knieten die Lebensfreude, die Zeit und die Liebe vor dem Kind. Drei merkwürdige Gäste, die dem Kind ihre Gaben gebracht hatten. Das Kind schaute die drei an, als ob es sie verstanden hätte.

Plötzlich drehte sich die Liebe um und sprach zu den Menschen. „Man wird dieses Kind zum Narren machen, man wird es um seine Lebenszeit bringen und es wird viel leiden müssen, weil es bedingungslos lieben wird. Aber weil es Ernst macht mit der Freude und weil es seine Zeit und seine Liebe schenkt, wird die Welt nie mehr so wie früher sein. Wegen dieses Kindes steht die Welt unter einem neuen guten Stern, der alles andere in den Schatten stellt.“

Darauf standen die drei Gestalten auf und verließen den Ort. Die Menschen aber, die all das miterlebt hatten, dachten noch lange über diese rätselhaften Worte nach.

 

 

Vom Sinn des Fastens

 

Sinn des Fasten: „Man erkennt sich selbst“

In einer Wüste lebte in der Nähe eines Brunnens einst ein weiser Mann. Gebet und Fasten bestimmten seinen Alltag. Eines Tages kamen zu ihm zwei Mönche. Sie hatten Schwierigkeiten mit ihrem Fasten und wollten ihn um Rat fragen. Er war gerade damit beschäftigt, mit einem Gefäß Wasser aus der Zisterne heraufzuziehen.

Sie fragten ihn: „Sag uns, welchen Sinn hat dein Fasten?“

Der Altvater – so nannte man im spirituellen Leben erfahrene Mönche – forderte sie auf: „Schaut in den Brunnen. Was seht ihr dort?“

Sie blickten hinein und das Wasser bewegte sich in vielen kleinen Wellen.

Sie sagten: „Nichts sehen wir außer Wasser, das sich bewegt.“

Nun ließ er sie eine Weile schweigend stehen und warten. Dann forderte er sie erneut auf in den Brunnen zu schauen und fragte: „Was seht ihr jetzt?“

Sie beugten sich erneut über den Brunnenrand und sahen im nun still gewordenen Wasser spiegelte sich ihr Gesicht.

Da sprach der Mann zu ihnen: „Das ist der Sinn des Fastens: Man erkennt sich selbst“.

Aus der Tradition der Wüstenväter, verändert nach Peter Müller

 

Angst vor Veränderung

 

 

Es geschah, dass im Schoß einer Mutter Zwillingsbrüder heranwuchsen.
Die Wochen vergingen und die Knaben wurden größer.

"Sag ist es nicht grossartig, dass wir empfangen wurden?"

Die Zwillinge begannen ihre Welt zu entdecken.
Als sie die Schnur fanden,
die sie mit ihrer Mutter verband und ihnen Nahrung gab, da sangen sie vor Freude: "Wie groß ist die Liebe unserer Mutter, dass sie ihr eigenes Leben mit uns teilt!"

Als die Wochen vergingen und schließlich zu Monaten wurden, merkten sie plötzlich, wie sehr sie sich verändert hatten.

"Was soll das heißen?" fragte der eine.
"Das heißt", antwortete ihm der andere, "dass unser Aufenthalt in dieser Welt bald seinem Ende zugeht."

"Aber ich will nicht gehen",
erwiderte der eine, "ich möchte für immer hier bleiben."

"Wir haben keine andere Wahl",
entgegnete der andere, "aber vielleicht gibt es ein Leben nach der Geburt!"

"Wie könnte diese sein?", wir werden unsere Lebensschnur verlieren,
und wie sollten wir ohne sie leben können?
Und außerdem haben andere vor uns diesen Schoß verlassen,
und niemand von ihnen ist zurückgekommen und hat uns gesagt,
dass es ein Leben nach der Geburt gibt.
Nein, dies ist das Ende!"

So fiel der eine von ihnen in tiefen Kummer und sagte:
"Wenn die Empfängnis mit der Geburt endet, welchen Sinn hat dann das Leben im Schoß? Es ist sinnlos. Womöglich gibt es gar keine Mutter hinter allem."

"Aber sie muss existieren". protestierte der andere. "Wie sollten wir sonst hierher gekommen sein? Und wie könnten wir am Leben bleiben?"

"Hast du je unsere Mutter gesehen?" fragte der eine.
"Womöglich lebt sie nur in unserer Vorstellung.
Wir haben sie uns erdacht, weil wir dadurch unser Leben besser verstehen können."

Und so waren die letzten Tage im Schoß der Mutter erfüllt mit vielen Fragen und großer Angst.
Schließlich kam der Moment der Geburt.
Als die Zwillinge ihre Welt verlassen hatten, öffneten sie die Augen.
Und was sie sahen, übertraf ihre kühnsten Träume ...

 

Auch das wird vorübergehen

 

 

Ein mächtiger König, der über viele Länder herrschte, fühlte sich eines Tages sehr ratlos und befragte daher die Weisen an seinem Hof. Er sagte zu ihnen: „Ich lasse mir einen wunderschönen Ring anfertigen. Ich habe die besten Diamanten, die man bekommen kann. Ich möchte in dem Ring eine Botschaft verbergen, die mir in Zeiten völliger Verzweiflung helfen kann, mein inneres Gleichgewicht wieder zu finden. Ich brauche eure Hilfe, um eine solche Botschaft zu finden.“

All die Weisen, und großen Gelehrten dachten lange darüber nach, welche Botschaft sie ihrem König geben könnten, um ihm in Zeiten größter Verzweiflung sein Gleichgewicht zurückzugeben… Sie dachten nach, sie schauten in ihre Bücher, aber sie konnten nichts finden. Da hatte der Älteste der Gelehrten eine Idee. Er war ein sehr weiser Mann, der dem König sehr nahe stand und schon sehr lange in dessen Dienst war.

Also gingen die Gelehrten mit der Botschaft zu ihrem König. Der Älteste trat vor und sprach: “Mein König, wir haben die Botschaft gefunden, nach der ihr suchtet.”

Der König war sehr erfreut über diese Nachricht und sprach zu seinem Gelehrten. “Ich danke euch! So tretet vor und verkündet die Botschaft.”

 Da schrieb der Weise die Botschaft auf einen kleinen Zettel, faltete ihn zusammen und sagte zum König: „Mein König, hier ist die Botschaft, die euch euer Gleichgewicht zurückgeben wird. Lest sie jedoch nicht sofort. Haltet sie in eurem Ring verborgen und öffnet sie erst in einer dunklen Stunde, wenn es keinen Ausweg mehr für euch zu geben scheint.” “Das werde ich tun”, sagte der König und der Weise sagte: “Doch beachtet. Diese Botschaft ist nicht nur für Zeiten der Verzweiflung; sie ist auch für Zeiten der Freude. Sie gilt nicht nur, wenn ihr der Verlierer seid, sondern auch, wenn Ihr der Sieger seid; nicht nur wenn Ihr der Letzte, sondern auch wenn Ihr der Erste seid. Also öffnet die Botschaft auch in Zeiten großen Glücks und Ihr werdet in euer Gleichgewicht zurück finden.“

Und so tat der König. Er hielt den Zettel in seinem Ring versteckt, bis zu einem Zeitpunkt, an dem das Land überfallen wurde. Der König verlor sein Reich und musste auf seinem Pferd fliehen, um sein Leben zu retten, doch die feindlichen Reiter verfolgten ihn. Er war allein. Die Verfolger waren in der Überzahl und verfolgten ihn bis an eine Klippe. Es schien keinen Ausweg mehr für den König zu geben. Die Klippe hinunter zu fallen, wäre sein Ende gewesen. Er konnte nicht zurück, denn von dort kamen die Feinde und er hörte bereits die Hufe ihrer Pferde.

Plötzlich erinnerte er sich an den Ring. Er öffnete ihn, nahm den Zettel heraus, und darauf stand die wertvolle Botschaft seiner Gelehrten. Auf dem kleinen Zettel stand: „Auch dies wird vorübergehen.“

Während er den Satz las, wurde er ganz still. „Auch dies wird vorübergehen.“ Und es ging vorüber. Alles geht vorbei. Nichts ist beständig in dieser Welt. Die Feinde, die ihn verfolgt hatten, hatten wohl einen falschen Weg eingeschlagen und sich im Wald verlaufen, denn nach einer Weile konnte er die Laute ihrer Hufe nicht mehr hören.

Der König verspürte große Dankbarkeit gegenüber seiner Gelehrten. Diese Worte hatten wie ein Wunder gewirkt. Er faltete den Zettel wieder zusammen, steckte ihn zurück in den Ring. Er sammelte seine Truppen wieder um sich und schlug die Feinde in die Flucht, die sein Reich besetzt hatten. Der Tag, an dem er siegreich wieder in seine Hauptstadt einzog, wurde in der ganzen Stadt lautstark gefeiert, mit Musik und Tanz. Der König war sehr stolz und glücklich.

Doch dann erinnerte er sich daran, dass der Weise gesagt hatte, er solle den Zettel auch in Zeiten großen Glücks öffnen.

Also öffnete der König seinen Ring erneut und las die Botschaft: „Auch dies wird vorübergehen.“ Und plötzlich überkam ihn derselbe Frieden, dieselbe Stille wie zuvor – mitten in der Menge, die jubilierte, feierte und tanzte. Der König hatte sein Gleichgewicht zurück gewonnen. Auch dies wird vorübergehen.

 

Entrümpeln

 

 

Ein Tourist darf im Kloster eines Bettelordens übernachten. Er wird herzlich aufgenommen und freundlich empfangen. Einer der Mönche führt ihn durch das Kloster und zeigt ihm am Schluss die Mönchszellen. Eine davon sollte dem Gast als Schlafquartier dienen.

 

Der Gast ist erstaunt über die spartanische Ausstattung der Zellen und fragt den Mönch: „Wo haben Sie denn Ihre Möbel?“

Schlagfertig fragt der zurück: „Ja, wo haben Sie denn Ihre?

„Meine?“, erwidert der Tourist verblüfft. „Ich bin ja nur auf der Durchreise hier!“

„Sehen Sie“, antwortet da der Mönch, „das sind wir auch.“

…gefunden in „Praxis der Systemaufstellung 2/2016“

 

 

Schuster Konrad erwartet den lieben Gott

 

 

 

An diesem Morgen war Konrad, der Schuster, schon sehr früh aufgestanden, hatte seine Werkstatt aufgeräumt, den Ofen angezündet und den Tisch gedeckt. Heute wollte er nicht arbeiten, denn er erwartete einen hohen Gast. Den höchsten, den man sich denken kann. Er erwartete Gott selbst. In der vorigen Nacht hatte Gott ihn im Traum wissen lassen, dass er ihn besuchen werde.
Nun saß Konrad also in der warmen Stube und wartete. Sein Herz war voller Freude. Da hörte er draußen Schritte, und schon klopfte es an die Tür. Das ist er, dachte Konrad, sprang auf und riss die Tür auf. Aber es war nur der Briefträger, der von der Kälte ganz blau gefrorene Finger hatte und sehnsüchtig nach dem heißen Tee auf dem Ofen schielte. Konrad ließ ihn herein, gab ihm eine Tasse Tee und ließ ihn sich aufwärmen.
"Danke", sagte der Briefträger, "das hat mir gut getan", und er stampfte wieder in die Kälte hinaus.
Sobald er das Haus verlassen hatte, räumte Konrad schnell das Geschirr ab und stellte saubere Tassen auf den Tisch. Dann setzte er sich wieder ans Fenster und wartete. Es wurde Mittag, aber von Gott war nichts zu sehen. Plötzlich erblickte er einen kleinen Jungen, und als er genauer hinsah, bemerkte er, dass dem Kleinen die Tränen über die Wangen liefen. Konrad rief ihn zu sich. Das Kind hatte im Gedränge der Stadt seine Mutter verloren und fand nicht mehr nach Hause zurück. Konrad legte einen Zettel auf den Tisch und schrieb darauf:"Bitte, warte auf mich. Ich bin gleich zurück."

Er ließ seine Tür einen Spalt offen, nahm den Jungen an der Hand und brachte ihn heim. Aber der Weg war weiter, als er gedacht hatte, und so kam er erst heim, als es schon dunkelte. Als er von ferne sah, dass jemand in seinem Zimmer am Fenster stand, erschrak er sehr. Aber dann klopfte sein Herz vor Freude. Nun war Gott doch zu ihm gekommen. Doch dann erkannte er die Frau. Sie wohnte oben im gleichen Haus. Seit ihr Mann verunglückt war, lebte sie allein mit ihrem Jungen. Sie sah müde und traurig aus. Konrad erfuhr, dass sie drei Nächte lang nicht mehr geschlafen hatte, weil ihr Sohn Petja so krank war. Er lag still da, und das Fieber stieg immer höher. Die Frau tat Konrad Leid. Und so ging er mit. Gemeinsam wickelten sie Petja in feuchte Tücher. Konrad blieb am Bett des kranken Kindes, während die Frau sich ein wenig ausruhte. Als er endlich wieder in seine Stube zurückkehrte, war es weit nach Mitternacht. Müde und enttäuscht legte Konrad sich schlafen. Der Tag war vorüber. Gott war nicht gekommen.

Plötzlich hörte er eine Stimme.

"Danke", sagte die Stimme, "danke, dass ich mich bei dir aufwärmen durfte - danke, dass du mir den Weg nach Hause gezeigt hast -
danke für den Trost und die Hilfe, die du mir gegeben hast. -
Ich danke dir, Konrad, dass ich heute bei dir sein durfte."

(Legende aus Rußland)

 

Von der Liebe (Khalil Gibran)

 

 

Wenn die Liebe dir winkt, folge ihr, sind ihre Wege auch schwer und steil.

Und wenn ihre Flügel dich umhüllen, gib dich ihr hin,

Auch wenn das unterm Gefieder versteckte Schwert dich verwunden kann.

Und wenn sie zu dir spricht, glaube an sie,

auch wenn ihre Stimme deine Träume zerschmettertn kann

wie der Nordwind den Garten verwüstetet.

Denn so, wie die Liebe dich krönt, kreuzigt sie dich.

So wie sie dich wachsen lässt, beschneidet sie dich.

So wie sie emporsteigt zu deinen Höhen

und die zartesten Zweige liebkost, die in der Sonne zittern,

steigt sie hinab zu deinen Wurzeln

und erschüttert sie in Ihrer Erdgebundenheit.

Wie Korngarben sammelt sie dich um sich.

Sie drischt dich, um dich nackt zu machen.

Sie siebt dich, um dich von deiner Spreu zu befreien.

Sie mahlt dich, bis du weiß bist.

Sie knetet dich, bis du geschmeidig bist;

Und dann weiht sie dich ihrem heiligem Feuer,

damit du heiliges Brot wirst für Gottes heiliges Mahl.

All dies wird die Liebe mit dir machen,

damit du die Geheimnisse deines Herzens kennenlernst

und in diesem Wissen ein Teil vom Herzen des Lebens wirst.

Aber wenn du in deiner Angst nur die Ruhe und die Lust der Liebe suchst,

dann ist es besser für dich, deine Nacktheit zu bedecken

und vom Dreschboden der Liebe zu gehen.

In die Welt ohne Jahreszeiten,

wo du lachen wirst, aber nicht dein ganzes Lachen,

und weinen, aber nicht all deine Tränen.

Liebe gibt nichts als sich selbst und nimmt nichts als von sich selbst.

Liebe besitzt nicht, noch läßt sie sich besitzen;

Denn die Liebe genügt der Liebe.

Und glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken,

denn die Liebe, wenn sie dich für würdig hält, lenkt deinen Lauf.

Liebe hat keinen anderen Wunsch, als sich zu erfüllen.

Aber wenn du liebst und Wünsche haben mußt, sollst du dir dies wünschen:

Zu schmelzen und wie ein plätschernder Bach zu sein,

der seine Melodie der Nacht singt.

Den Schmerz allzu vieler Zärtlichkeit zu kennen.

Vom eigenen Verstehen der Liebe verwundet zu sein;

Und willig und freudig zu bluten.

Bei der Morgenröte

mit beflügeltem Herzen zu erwachen

und für einen weiteren Tag des Liebens dankzusagen;

Zur Mittagszeit zu ruhen

und über die Verzückung der Liebe nachzusinnen;

Am Abend mit Dankbarkeit heimzukehren;

Und dann einzuschlafen

mit einem Gebet für den Geliebten im Herzen

und einem Lobgesang auf den Lippen.

Khalil Gibran (* 06.01.1883, † 10.04.1931)

 

 

Die größte Kraft des Universums

 

 

Es war einmal, vor sehr langer Zeit, da hatten die Götter zu entscheiden, wo sie die grösste Kraft des Universums verstecken sollten, damit der Mensch diese nicht finden könne, bevor er nicht reif sei, mit dieser Kraft verantwortungsbewusst umzugehen.Einer der Götter schlug vor, die grösste Kraft des Universums auf der Spitze des höchsten Berges zu verstecken. Doch die Götter erkannten, dass der Mensch den höchsten Berg ersteigen würde, noch bevor er so weit wäre, die gefundene grösste Kraft des Universums verantwortungsbewusst einzusetzen. Ein anderer Gott befand, dass es eine gute Idee sei, die Kraft auf dem Grund des Meeres zu verstecken. Aber wieder erkannten die Götter alsbald, dass der Mensch auch diese Region erforschen und die grösste Kraft des Universums finden würde, bevor er dazu reif sei. Es folgten viele weitere Vorschläge, die alle wieder verworfen wurden, denn die Götter waren sicher, dass der Mensch die Verstecke fände, bevor er dafür bereit wäre. Schließlich sprach der weiseste aller Götter: »Ich weiss, was zu tun ist. Lasst uns die grösste Kraft des Universums im Menschen selbst verstecken. Er wird niemals dort danach suchen, bevor er reif genug ist, den Weg nach Innen zu gehen.« Die Götter befanden diesen Vorschlag für den besten, und so versteckten sie die grösste Kraft des Universums im Menschen selbst.Und so tragen die Menschen die grösste Kraft des Universums in sich – ohne es zu wissen. Doch manchmal gibt es einen Menschen, der die grösste Kraft des Universums entdeckt und weise von ihr Gebrauch machen kann, weil er den Weg in seine innere Welt beschritten hatte.

(Verfasser unbekannt)


Ja, die grösste Kraft im Universum ist die Liebe! Sogar Albert Einstein wusste dies und hat dies in einem Brief an seine Tochter bestätigt: "Die Liebe ist die Ur-Schöpferkraft, ohne die kein Stern, kein Stein, kein Mensch, kein Baum geboren wäre. Alle Energie und Substanz, die aus den Tiefen des Alls zu uns kommt, um sich in einem Menschen, einem Baum oder einem Stein zu manifestieren, ist nichts anderes als die Ursubstanz des Schöpfers".

 

 

 

Was ist der eigene "Wahre Wille?"

 

In dem Buch von Michael Ende, „Die unendliche Geschichte“, wird erzählt, dass auf der Rückseite des zauberhaften Medaillons, das der Junge Bastian trägt, die vier Worte stehen: „Tu, was du willst.“ Zuerst fasst Bastian die Worte auf als eine Aufforderung, alles zu tun, wozu er Lust habe. Aber dann wird ihm gesagt:

„Es heißt, dass du deinen wahren Willen tun sollst. Und nichts ist schwerer.“

Als er fragt: „Meinen wahren Willen? Was ist denn das?“, bekommt er zur Antwort. „Es ist dein eigenes tiefes Geheimnis!“

Und als er weiter fragt, wie er dies Geheimnis entdecken könne, heißt es: „Indem du den Weg der Wünsche gehst, von einem zum anderen und bis zum letzten. Der wird dich zu deinem wahren Willen führen“.

„Das kommt mir eigentlich nicht so schwer vor“, meinte Bastian.

„Es ist von allen Wegen der gefährlichste“, sagte der Löwe.

Warum?“ fragte Bastian, „ich habe keine Angst“.

„Darum geht es nicht“, grollte Graògramán, „es erfordert höchste Wahrhaftigkeit und Aufmerksamkeit, denn auf keinem anderen Weg ist es so leicht, sich endgültig zu verirren.“

 

Das Leben lieben lernen - wie die Menschen das Staunen verlernten

 

Eines Tages war es soweit. Es gab keine Wunder mehr. Die Menschen hatten die Welt enträtselt, jedenfalls meinten sie das. Wie mit einem riesigen Vergrößerungsglas hatten sie sich die Dinge aus der Nähe angesehen und beinahe alles aufgelöst in Formeln und Strukturen. Wenn beispielsweise eine Blume zu wachsen begann, konnten sie rasch erklären, wie das zuging. Nicht anders war es, wenn es Sommer wurde oder Winter, zwei Mensch sich ineinander verliebten oder wenn ein Kind zur Welt kam.

Nichts war mehr geheimnisvoll. Alles war durchschaubar geworden – und beherrschbar. Denn je genauer die Menschen die Welt zu erklären vermochten, desto größer wurde auch ihre Fähigkeit, die Dinge zu verändern. Schon bald begann man, in riesigen Labors eine neue Welt zu konstruieren, die alle Menschen glücklich machen sollte.

Aber die Menschen wunderten sich nicht schlecht, dass sie – was immer sie auch unternehmen wollten, nicht glücklicher wurden. Im Gegenteil, je mehr sie erklärten und entwickelten, desto kälter und unwirtlicher wurde die Welt. Am Ende schien die Welt selbst wie ein riesiges Labor, in dem sich keiner mehr wohl fühlte. Eine abgrundtiefe Traurigkeit legte sich auf die Herzen der Menschen, und sie ahnten: „Wir haben zwar manches erklären können, aber verstanden haben wir offenbar nichts“.

Da geschah es, dass ein Forscher, der eines Abends völlig niedergeschlagen sein Labor verließ, auf ein kleines Kind aufmerksam wurde, das mit großer Ehrfurcht eine Blume betrachtete. Und wie er dem Kind in die Augen sah, erkannt er tief innen so etwas wie Liebe leuchten. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Wir haben die Dinge nicht erkennen, sondern beherrschen wollen. Wirkliches Erkennen aber beginnt mit dem Staunen. Wer staunt, lernt das Leben lieben, ohne es für seine Zwecke benützen zu wollen. Und nur wer es liebt, rührt an das Geheimnis der Dinge. Das Leben ist eben kein Rätsel, das man gewaltsam wie eine Nuss knacken kann. Es ist ein Geheimnis, das einem aufgehen muss – so wie sich eine Blume in den Strahlen der Morgensonne öffnet und entfaltet“.                

von Ulrich Peters

 

 

Die Geschichte vom Johanniskraut

 

 

Johannes der Täufer war ein Mann voller Güte und Weisheit und die Menschen liebten ihn. Das aber gefiel dem grausamen König Herodes nicht, weil er selbst von seinem Volk nur gefürchtet, aber nicht geliebt wurde, und so er ließ Johannes fangen und in den Kerker werfen.

Auch Herodias, des Königs machtgierige Schwägerin, die mit ihrer schönen Tochter Salome am Königshofe lebte, hasste den Johannes und wollte dass Herodes den weisen Mann töten ließe. Aber der König weigerte sich, denn er hatte Angst, dass er sich den Zorn des Himmels zuziehen würde, wenn er einen heiligen Mann tötete. Herodias hasste Johannes so sehr, wie nur das Böse das Gute hassen kann und sie wollte ihn unbedingt tot sehen. So schmiedete sie im geheimen Pläne, um ihr Ziel doch noch zu erreichen.

Eines Tages tanze die schöne Salome vor dem König und ihr Tanz und ihre Schönheit entzückten Herodes so sehr, dass er ausrief: „Schöne Salome, ich will dir alles geben, was dein Herz begehrt, wenn du noch einmal vor mit tanzest“.

Da nahm Herodias ihre Tochter beiseite und flüsterte ihr zu: „Tanze, und verlange dann von ihm das Haupt Johannes des Täufers.“

Salome tanzte und sie war noch schöner und berückender als vorher und als der Tanz zu Ende war, trat sie vor den König und sprach: „ich habe getanzt für dich, nun halte dein Versprechen und gib mir, was ich verlange.“ „Du sollst es haben, was es auch sein mag“, antwortete der König, „du hast mein königliches Wort.“

Da sagte Salome: „Nun gut, so wünsche ich mir das Haupt Johannes des Täufers auf einer goldenen Schüssel.“

Herodes erschrak. Das hatte er nicht erwartet, aber als König durfte er sein Wort nicht brechen und so gab er schweren Herzens den Befehl, Johannes zu enthaupten und Salome den Kopf auf einer goldenen Schüssel zu bringen. Der Henker holte nun den armen Johannes aus dem Kerker und führte ihn vor das Tor zum Richtblock. Johannes kniete nieder, betete und befahl Gott seine Seele. Dann legte er ruhig seinen Kopf auf den Richtblock, so als legte er sich zum Schlafen nieder. Er wusste, dass man ihn zwar töten konnte, niemals aber die Güte und die Liebe, denn sie sind ewig. Der Henker hob das Richtschwert und trennte mit einem Schlag Johannes Haupt vom Rumpf, damit Salomes unmenschlicher Wunsch erfüllt werden konnte.

Im Volk aber war große Trauer um den Tod des guten Johannes, der ein Freund der Armen und Verlorenen war. Die Leute weinten um ihn wie um ihren eigenen Bruder und kamen sich sehr verlassen vor. Er war für sie die Hoffnung auf ein besseres Leben in Frieden und mit ihm war auch ihre Hoffnung dahingegangen. Mutlos und traurig verbrachten sie ihre Tage und keine Freude war mehr in ihren Herzen.

Da bemerkten sie eines Tages, es war zur Zeit der Sommersonnenwende, dass um den Richtblock, auf dem Johannes getötet wurde, viele eigenartige Pflanzen wuchsen, die vorher noch kein Mensch gesehen hatte.
Auf kerzengeraden Stielen saßen gelbe Blüten in großer Anzahl. Schon ihr Anblick machte sie froh und gab ihnen neue Hoffnung, genau wie Johannes es in seinem Leben getan hatte. Die Pflanzen waren aus dem Blut Johannes des Täufers hervorgegangen und verbreiteten sich sehr schnell überall im Lande. Die Menschen, die einen Tee daraus bereiteten, wurden wieder froh und heiter und bald hatte man auch herausgefunden, dass die Blüten in Öl angesetzt ein gutes Mittel zur Wundheilung waren. So hatte Gott aus dem Bösen doch noch etwas Gutes wachsen lassen.

Dies aber ärgerte den Teufel, der schon geglaubt hatte, dass durch die grausame Tat des Königs endlich das Böse in der Welt gesiegt hätte. Nun war aus der schlimmen Tat eine Heilpflanze gewachsen, das durfte nicht sein. Er ließ spitze Nadeln auf die Pflanze regnen, damit ihre durchbohrten Blätter in der Sonne vertrocknen sollten.

Aber Gott wollte nicht, dass das heilkräftige Johanniskraut vernichtet würde. Er ließ dicke, dunkle Wolken aufziehen und die Sonne verhüllen, so dass kein einziger Sonnenstrahl hindurchdringen konnte, viele Tage lang, bis sich die Wunden der Blätter geschlossen hatten. Nun konnte ihnen der Teufel nichts mehr anhaben. Darüber war er voller Zorn und rief: „Wenn ich auch nicht das Kraut verbrennen konnte, so sollen doch die Menschen brennen, die es zu sich nehmen.“

Nach diesem Fluch fuhr er zur Hölle. Und das Johanniskraut hatte nun eine unangenehme Nebenwirkung bekommen. Man darf sich keiner Sonnenstrahlung aussetzen, solange man sich damit behandelt, sonst bekommt man einen Sonnenbrand.

Die böse Herodias aber hatte den Kampf gegen das Johanniskraut noch nicht aufgegeben. „Was der dumme Teufel nicht geschafft hat, werde ich selber tun“, sagte sie. Sie ließ ein großes Feuer anzünden und fing an, die Pflanzen auszureißen und ins Feuer zu werfen. Aber voller Entsetzen bemerkte sie, dass sich ihre Hände dabei blutrot färbten. „Das Blut Johannes des Täufers ist über mich gekommen, ich bin verflucht!“ schrie sie, rannte schreiend durch die Straßen zurück ins Schloss und verkroch sich im dunkelsten Winkel. Dort blieb sie, versteckte ihre blutigen Hände und kam niemals mehr ans Licht.

Das Johanniskraut aber verbreitete sich und wächst heute überall in Europa an sonnigen Hängen, Böschungen und Waldrändern. Seine Heilkraft ist noch genauso groß wie am ersten Tag. Auch die Erinnerung an jenes Geschehen ist ihm geblieben: Wenn man nämlich die Blütenblätter zwischen den Fingern reibt, färben sie sich blutrot und auch die Nadelstiche des Teufels sind als feine, durchsichtige Punkte heute noch zu erkennen, uns Menschen zum Trost, dass Liebe und Güte immer das Böse überdauern werden.

 

 

Die drei Siebe des Weisen

 

Zum weisen Sokrates kam einer gelaufen und sagte:
"Höre, Sokrates, das muß ich dir erzählen!"

"Halte ein!" unterbracht ihn der Weise, "hast du das,
was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?"

"Drei Siebe?", fragte der andere voller Verwunderung.
"Ja, guter Freund! Laß sehen, ob das, was du mir sagen willst,
durch die drei Siebe hindurchgeht:

Das erste ist die Wahrheit.
Hast du alles, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?"

"Nein, ich hörte es erzählen und..."

"So, so!“   Aber sicher hast du es im zweiten Sieb geprüft.
Es ist das Sieb der Güte.
Ist das, was du mir erzählen willst gut?"

Zögernd sagte der andere:
"Nein, im Gegenteil..."

"Hm", unterbrach ihn der Weise,

"so laßt uns auch das dritte Sieb noch anwenden.
Ist es notwendig, daß du mir das erzählst?"

"Notwendig nun gerade nicht..."

"Also, sagte lächelnd der Weise,
"wenn es weder wahr noch gut noch notwendig ist,
so laß es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit."

Sokrates

 

Geschichte über die Freundschaft

 

 

Eines Tages, ich war gerade das erste Jahr auf der High School, sah ich ein Kind aus meiner Klasse nach Hause gehen. Sein Name war Kyle. Es sah so aus, als würde er alle seine Bücher mit sich tragen. Ich dachte mir: „Warum bringt wohl jemand seine ganzen Bücher an einem Freitag nach Hause? Das muss ja ein richtiger Dummkopf sein.“ Mein Wochenende hatte ich schon verplant (Partys und ein Fußballspiel mit meinen Freunden morgen nachmittag), also zuckte ich mit den Schultern und ging weiter.

Als ich weiter ging, sah ich ein Gruppe Kinder in seine Richtung laufen. Sie rempelten ihn an, schlugen ihm seine Bücher aus den Armen und schubsten ihn, so dass er in den Schmutz fiel. Seine Brille flog durch die Luft, und ich beobachtete, wie sie etwa drei Meter neben ihm im Gras landete. Er schaute auf und ich sah diese schreckliche Traurigkeit in seinen Augen. Mein Herz wurde weich. Ich ging zu ihm rüber, er kroch am Boden umher und suchte seine Brille, und ich sah Tränen in seinen Augen.

Als ich ihm seine Brille gab, sagte ich: „Diese Typen sind Blödmänner..“ Er schaute zu mir auf und sagte: „Danke!“ Ein großes Lächeln zierte sein Gesicht. Es war eines jener Lächeln, die wirkliche Dankbarkeit zeigten. Ich half ihm seine Bücher aufzuheben und fragte ihn, wo er wohne. Es stellte sich heraus, dass er in meiner Nähe wohnt, also fragte ich ihn, warum ich ihn vorher nie gesehen habe. Er erzählte mir, dass er zuvor auf eine Privatschule gegangen war. Ich hätte mich nie mit einem Privat-Schul-Kind abgeben. Den ganzen Nachhauseweg unterhielten wir uns; und ich trug seine Bücher. Er war eigentlich ein richtig cooler Kerl. Ich fragte ihn, ob er Lust hätte mit mir und meinen Freunden am Samstag Fußball zu spielen. Er sagte zu. Wir verbrachten das ganze Wochenende zusammen, und je mehr ich Kyle kennen lernte, desto mehr mochte ich ihn. Und meine Freunde dachten genauso über ihn.

Es begann der Montagmorgen, und auch Kyle mit dem riesigen Bücherstapel war wieder da. Ich stoppte ihn und sagte: „Oh man, mit diesen ganzen Büchern wirst du eines Tages noch mal richtige Muskeln bekommen.“ Er lachte und gab mir einen Teil der Bücher. Während der nächsten vier Jahre wurden Kyle und ich richtig gute Freunde. Als wir älter wurden, dachten wir übers College nach. Kyle entschied sich für Georgetown, und ich mich für Duke. Ich wusste, dass wir immer Freunde sein werden, und diese Kilometer zwischen uns niemals ein Problem darstellen würden. Er wollte Arzt werden und ich hatte vor eine Fußballer-Karriere zu machen.

Kyle war Abschiedsredner unserer Klasse. Ich neckte ihn die ganze Zeit, indem ich sagte, er sei ein Dummkopf. Er musste eine Rede für den Schulabschluss vorbereiten. Ich war so froh, dass ich nicht derjenige war, der sprechen musste.

Abschlusstag, ich sah Kyle. Er sah großartig aus. Er war einer von denen, die während der High School zu sich selber finden und ihren eigenen Stil entwickeln. Er hatte mehr Verabredungen als ich und alle Mädchen mochten ihn. Manchmal war ich richtig neidisch auf ihn. Heute war einer dieser Tage. Ich konnte sehen, dass er wegen seiner Rede sehr nervös war. Ich gab ihm einen Klaps auf den Rücken und sagte: „Hey, großer Junge, du wirst großartig sein.“ Er sah mich mit einem jener Blicke (die wirklich dankbaren) an und er lächelte. „Danke!“, sagte er.

Als er seine Rede begann, räusperte er sich kurz und fing an: „Der Abschluss ist eine Zeit, um denen zu danken, die dir halfen, diese schweren Jahre zu überstehen. Deinen Eltern, Deinen Lehrern,  Deinen Geschwistern, vielleicht einem Trainer… aber am meisten Deinen Freunden. Ich sage euch, das beste Geschenk, das ihr jemandem geben könnt, ist eure Freundschaft. Lasst mich euch eine Geschichte erzählen.“

Ich schaute meinen Freund etwas ungläubig an, als er von dem Tag erzählte, an dem wir uns das erste mal trafen. Er hatte geplant, sich an diesem Wochenende umzubringen. Er erzählte weiter, dass er seinen Schrank in der Schule ausgeräumt hat, so dass seine Mutter es später nicht tun müsste, und trug sein Zeug nach Hause. Er schaute mich an und lächelte. „Gott sei Dank, ich wurde gerettet. Mein Freund hat mich von dieser unsäglichen Sache bewahrt.“ Ich konnte spüren, wie die Masse den Atem anhielt als dieser gutaussehende, beliebte Junge  uns von seinem schwächsten Augenblick im Leben erzählte. Ich bemerkte wie seine Mutter und sein Vater lächelnd zu mir herüber sahen, genau dasselbe dankbare Lächeln. Niemals zuvor spürte ich solch eine tiefe Verbundenheit.

Verfasser unbekannt

 

 

 

Was ist das Leben?

 

 

An einem schönen Sommertage war um die Mittagszeit eine Stille im Wald eingetreten. Die Vögel streckten ihre Köpfe unter die Flügel. Alles ruhte.

Da steckte der Buchfink sein Köpfchen hervor und fragte: „Was ist das Leben“

Alle waren sehr betroffen über diese schwere Frage. Eine Rose entfaltete gerade ihre Knospe und schob behutsam ein Blatt ums andere heraus. Sie sprach: „Das Leben ist eine Entwicklung.“

Weniger tief veranlagt war der Schmetterling. Lustig folg er von einer Blume zur anderen, naschte da und dort und sagte: „Das Leben ist lauter Freude und Sonnenschein.“

Drunten am Boden schleppte sich eine Ameise mit einem Strohhalm ab, zehnmal länger als sie selbst, und sagte: „Das Leben ist nichts als Mühe und Arbeit.“

Geschäftig kam eine Biene von einer honighaltigen Blume zurück und meinte dazu: „Das Leben ist ein Wechsel von Arbeit und Vergnügen.“

Wo so weise Reden geführt wurden, steckte der Maulwurf seinen Kopf aus der Erde und sagte: „Das Leben ist ein Kampf im Dunkel.“

Die Elster, die selbst nichts weiß und nur vom Spott der anderen lebt, sagte: „Was ihr für weise Reden führt! Man sollte meinen, was ihr für gescheite Leute seid!“

Es hätte nun einen großen Streit gegeben, wenn nicht ein feiner Regen eingesetzt hätte, der sagte: „Das Leben besteht aus Tränen, nichts als Tränen“. Dann zog er weiter zum Meer. Dort brandeten die Wogen und warfen sich mit aller Gewalt gegen die Felsen, kletterten daran in die Höhe und warfen sich dann wieder mit gebrochener Kraft ins Meer zurück und stöhnten: „Das Leben ist ein stets vergebliches Ringen nach Freiheit.“

Hoch über ihnen zog majestätisch ein Adler seine Kreise, der frohlocke: „Das Leben ist ein Streben nach oben.“

Nicht weit davon stand eine Weide, die hatte der Sturm schon zur Seite geneigt. Sie sprach: „Das Leben ist ein Sich-Neigen unter einer höheren Macht.“

Dann kam die Nacht. In lautlosem Flug glitt ein Uhu durch das Geäst des Waldes und krächzte: „Das Leben heißt, die Gelegenheit nutzen, wenn die anderen schlafen.“

Schließlich wurde es still im Walde.

Nach einiger Weile ging ein Mann durch die menschenleeren Straßen nach Hause. Er kam von einer Lustbarkeit und sagt vor sich hin: „Das Leben ist ein ständiges Suchen nach Glück und eine Kette von Enttäuschungen.“

Auf einmal flammte die Morgenröte in ihrer vollen Pracht auf und sprach: „Wie ich, die Morgenröte, der Beginn des kommenden Tages bin, so ist das Leben der Anfang der Ewigkeit.“

Werner Schaube

 

 

In jedem von uns ein göttlicher Funke

 

Es war einmal ein kleiner Junge, der unbedingt Gott treffen wollte. Er war sich darüber bewusst, dass der Weg zu dem Ort, an dem Gott lebte, ein sehr langer sein würde. Also packte er sich einen Rucksack voll mit einigen kleinen Saftflaschen und mehreren Schokoladenriegeln und machte sich auf die Reise. Er lief eine ganze Weile und kam in einen kleinen Park. Dort sah er eine alte Frau, die auf einer Bank saß und den Tauben zuschaute, die vor ihr nach Futter auf dem Boden suchten. Der kleine Junge setzte sich zu der Frau auf die Bank und öffnete seinen Rucksack. Er wollte sich gerade eine Saftflasche herausholen, als er den hungrigen Blick der alten Frau sah. Also griff er zu einem Schokoriegel und reichte ihn der Frau.
Dankbar nahm sie die Süßigkeit und lächelte ihn an. Und es war ein wundervolles Lächeln!
Der kleine Junge wollte dieses Lächeln noch einmal sehen und bot ihr auch einen Saft an.
Und sie nahm den Saft und lächelte wieder - noch strahlender als zuvor. Der kleine Junge war selig. Die beiden saßen den ganzen Nachmittag lang auf der Bank im Park, aßen Schokoriegel und tranken Saft, aber sprachen kein Wort. Als es dunkel wurde spürte der Junge, wie müde er war und beschloss, zurück nach Hause zu gehen. Nach einigen Schritten hielt er inne und drehte sich um. Er ging zurück zu der Frau und umarmte sie.
Die alte Frau schenkte ihm dafür ihr allerschönstes Lächeln. Zu Hause sah seine Mutter die Freude auf seinem Gesicht und fragte: "Was hast du denn heute Schönes gemacht, dass du so fröhlich aussiehst?"
Und der kleine Junge antwortete: "Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen - und sie hat ein wundervolles Lächeln!"

Auch die alte Frau war nach Hause gegangen, wo ihr Sohn schon auf sie wartete. Auch er fragte sie, warum sie so fröhlich aussah.
Und sie antwortete: "Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen - und er ist viel jünger, als ich gedacht habe."

(Verfasser unbekannt)

 

 

Die Kerze, die nicht brennen wollte

 

 

Nein, das hatte es noch nicht gegeben. Eine Kerze, die nicht brennen wollte war

absolut einmalig. Es herrschte große Aufregung unter den Kerzen im Wohnzimmer – zumal

bald Weihnachten gefeiert werden sollte und die Kerzen mit ihrem festlichen Glanz die

Dunkelheit verwandeln wollten. Eine alte erfahrene Kerze bot sich an, mit der Kleinen zu

reden.

„Nein, ich möchte nicht brennen“, antwortete die Kleine störrisch. „Wer brennt,

verbrennt recht bald, und dann ist es um ihn geschehen. Ich möchte bleiben wie ich bin – so

schlank, so schön und so elegant.“

„Wenn du nicht brennst, bist du tot, noch bevor du gelebt hast“, antwortete die Alte

gelassen. „Dann bleibst du auf ewig Wachs und Docht, und Wachs und Docht sind nichts.

Nur wenn du dich entzünden lässt, wirst du, was du wirklich bist.“

„Na, da danke ich schön“, entgegnete die Kleine ängstlich. Ich möchte mich nicht

verlieren, ich möchte lieber bleiben, was ich jetzt bin. Gut, es ist etwas langweilig und

manchmal etwas dunkel und kalt, aber es tut noch lange nicht so weh, wie die verzehrend

flackernde Flamme.“

„Man kann es eigentlich nicht mit Worten erklären, man muss es erfahren“, antwortete die

Alte rätselhaft, „nur wer sich hergibt, verwandelt die Welt, und indem er die Welt verwandelt,

wird er auch mehr er selbst. Du darfst nicht über das Dunkel und die Kälte klagen, wenn du

nicht bereit bist, dich anstecken zu lassen.“

Da ging der kleinen Kerze plötzlich ein Licht auf. „Du meinst, man ist das, was man

von sich herschenkt?“

„Ja“, antwortete die Alte. „Man bleibt dabei nicht so schlank, so schön und so elegant.

Man wird gebraucht und gerät auch etwas aus der Form. Aber man ist mächtiger als jede

Nacht und alle Finsternis der Welt.“

So geschah es, dass die kleine Kerze ihren Widerstand aufgab und sich entzünden

ließ. Je mehr sie flackerte, um so mehr verwandelte sie sich in ein reines Licht und leuchtete

und strahlte, als gelte es die ganze Welt zu wärmen und alle Nächte hell zu machen.

Wachs und Docht verzehrten sich, aber ihr Licht leuchtete bis auf den heutigen Tag in

den Augen und Herzen all der Menschen, für die sie brannte.

von Ulrich Peters

 

 

Man erntet was man sät

 

 

Eines Tages bat eine Lehrerin ihre Schüler, die Namen aller anderen Schüler in der Klasse auf ein Blatt Papier zu schreiben und ein wenig Platz neben den Namen zu lassen.

Dann sagte sie zu den Schülern, sie sollten überlegen, was das Netteste ist, das sie über jeden ihrer Klassenkameraden sagen können und das sollten sie neben die Namen schreiben.

Es dauerte die ganze Stunde, bis jeder fertig war und bevor sie den Klassenraum verließen, gaben sie ihre Blätter der Lehrerin.

Am Wochenende schrieb die Lehrerin jeden Schülernamen auf ein Blatt Papier und daneben die Liste der netten Bemerkungen, die ihre Mitschüler über den einzelnen aufgeschrieben hatten.

Am Montag gab sie jedem Schüler seine oder ihre Liste. Schon nach kurzer Zeit lächelten alle.

"Wirklich?", hörte man flüstern.....

"Ich wusste gar nicht, dass ich irgend jemandem was bedeute!" und "ich wusste nicht, dass mich andere so mögen bzw. so sehen", waren die Kommentare.

Niemand erwähnte danach die Listen wieder. Die Lehrerin wusste nicht, ob die Schüler sie untereinander oder mit ihren Eltern diskutiert hatten, aber das machte nichts aus. Die Übung hatte ihren Zweck erfüllt. Die Schüler waren glücklich mit sich und mit den anderen.

Einige Jahre später war einer der Schüler in Vietnam gefallen und die Lehrerin ging zum Begräbnis dieses Schülers. Die Kirche war überfüllt mit vielen Freunden.

Einer nach dem anderen, der den jungen Mann geliebt oder gekannt hatte, ging am Sarg vorbei und erwies ihm die letzte Ehre.

Die Lehrerin ging als letzte und betete vor dem Sarg. Als sie dort stand, sagte einer der Soldaten, die den Sarg trugen, zu ihr:

"Waren Sie Marks Mathe Lehrerin?"

Sie nickte: "Ja".

Dann sagte er: "Mark hat sehr oft von Ihnen gesprochen."

Nach dem Begräbnis waren die meisten von Marks früheren Schulfreunden versammelt. Marks Eltern waren auch da und sie warteten offenbar sehnsüchtig darauf, mit der Lehrerin zu sprechen.

"Wir wollen Ihnen etwas zeigen", sagte der Vater und zog eine Geldbörse aus seiner Tasche.

"Das wurde gefunden, als Mark gefallen ist. Wir dachten, Sie würden es erkennen."

Aus der Geldbörse zog er ein stark abgenutztes Blatt, das offensichtlich zusammengeklebt, viele Male gefaltet und auseinandergefaltet worden war.

Die Lehrerin wusste ohne hinzusehen, dass dies eines der Blätter war, auf denen die

netten Dinge standen, die seine Klassenkameraden über Mark geschrieben hatten.

"Wir möchten Ihnen so sehr dafür danken, dass Sie das gemacht haben", sagte Marks Mutter. "Wie Sie sehen können, hat Mark das sehr geschätzt."

Alle früheren Schüler versammelten sich um die Lehrerin.

Veronika lächelte ein bisschen und sagte: "Ich habe meine Liste auch noch. Sie ist in meiner obersten Schreibtischschublade".

Helmuths Frau sagte: "Helmuth bat mich, die Liste in unser Hochzeitsalbum zu kleben."

"Ich habe meine auch noch", sagte Barbara. "Sie ist in meinem Tagebuch."

Dann griff Elisabeth, eine andere Mitschülerin, in ihren Taschenkalender und zeigte ihre abgegriffene und ausgefranste Liste den anderen. "Ich trage sie immer bei mir", sagte Elisabeth und meinte dann: "Ich glaube, wir haben alle die Listen aufbewahrt."

Die Lehrerin war so gerührt, dass sie sich setzen musste und weinte.

 

Im Zusammenleben mit unseren Mitmenschen vergessen wir oft, dass jedes Leben eines Tages endet und dass wir nicht wissen, wann dieser Tag sein wird. Deshalb sollte man den Menschen, die man liebt und um die man sich sorgt, sagen, dass sie etwas Besonderes und Wichtiges sind. Auch den Menschen, mit denen man beruflich, ehrenamtlich oder wie auch immer zu tun hat - wertschätze sie. Sag es ihnen, bevor es zu spät ist. 

Und denke stets daran, Du erntest, was Du säst. Was Du in das Leben der anderen einbringst, kommt auch in Dein eigenes Leben zurück.

 

 

Was ist das Leben?

 

 

 

An einem schönen Sommertage war um die Mittagszeit eine Stille im Wald eingetreten. Die Vögel streckten ihre Köpfe unter die Flügel. Alles ruhte.

Da steckte der Buchfink sein Köpfchen hervor und fragte: „Was ist das Leben“

Alle waren sehr betroffen über diese schwere Frage. Eine Rose entfaltete gerade ihre Knospe und schob behutsam ein Blatt ums andere heraus. Sie sprach: „Das Leben ist eine Entwicklung.“

Weniger tief veranlagt war der Schmetterling. Lustig folg er von einer Blume zur anderen, naschte da und dort und sagte: „Das Leben ist lauter Freude und Sonnenschein.“

Drunten am Boden schleppte sich eine Ameise mit einem Strohhalm ab, zehnmal länger als sie selbst, und sagte: „Das Leben ist nichts als Mühe und Arbeit.“

Geschäftig kam eine Biene von einer honighaltigen Blume zurück und meinte dazu: „Das Leben ist ein Wechsel von Arbeit und Vergnügen.“

Wo so weise Reden geführt wurden, steckte der Maulwurf seinen Kopf aus der Erde und sagte: „Das Leben ist ein Kampf im Dunkel.“

Die Elster, die selbst nichts weiß und nur vom Spott der anderen lebt, sagte: „Was ihr für weise Reden führt! Man sollte meinen, was ihr für gescheite Leute seid!“

Es hätte nun einen großen Streit gegeben, wenn nicht ein feiner Regen eingesetzt hätte, der sagte: „Das Leben besteht aus Tränen, nichts als Tränen“. Dann zog er weiter zum Meer. Dort brandeten die Wogen und warfen sich mit aller Gewalt gegen die Felsen, kletterten daran in die Höhe und warfen sich dann wieder mit gebrochener Kraft ins Meer zurück und stöhnten: „Das Leben ist ein stets vergebliches Ringen nach Freiheit.“

Hoch über ihnen zog majestätisch ein Adler seine Kreise, der frohlocke: „Das Leben ist ein Streben nach oben.“

Nicht weit davon stand eine Weide, die hatte der Sturm schon zur Seite geneigt. Sie sprach: „Das Leben ist ein Sich-Neigen unter einer höheren Macht.“

Dann kam die Nacht. In lautlosem Flug glitt ein Uhu durch das Geäst des Waldes und krächzte: „Das Leben heißt, die Gelegenheit nutzen, wenn die anderen schlafen.“

Schließlich wurde es still im Walde.

Nach einiger Weile ging ein Mann durch die menschenleeren Straßen nach Hause. Er kam von einer Lustbarkeit und sagt vor sich hin: „Das Leben ist ein ständiges Suchen nach Glück und eine Kette von Enttäuschungen.“

Auf einmal flammte die Morgenröte in ihrer vollen Pracht auf und sprach: „Wie ich, die Morgenröte, der Beginn des kommenden Tages bin, so ist das Leben der Anfang der Ewigkeit.“

Werner Schaube

 

 

Die Geschichte von Frederick der Maus

 

 

Es wurde Herbst auf dem Mohnblumenfeld. Die Feldmäuse waren emsig und eifrig. Sie sammelten Nüsschen, Getreidekörner, Sonnenblumenkerne und viele andere Leckereien zusammen. Sie wollten sich einen großen Vorrat anlegen, damit sie im kalten Winter nicht verhungerten. Sie sammelten auch weiches Moos und gut duftendes Heu aus Bauers Scheune, um es weich und war zu haben.

Frederick saß den ganzen Tag an seinem Lieblingsplatz auf einem kleinen Stein. Der hatte eine Mulde, in die er sich wunderbar reinlegen konnte. Dort schien ihm die Sonne direkt auf dem Bauch. Dort flogen die Vögel singend durch die Lüfte und der Wind trug den Duft von frischem Obst bis an seine Nase heran. Seinen Mäusefreunden gefiel das nicht: „Frederick, warum hilfst Du nicht Vorräte sammeln? Warum hilfst du nicht Moos suchen? Warum hilfst du nicht Heu aus Bauers Scheune tragen?“

Frederick antwortete: „Aber ich sammle doch. Ich sammle Sonnenstrahlen, die vom Himmel fallen. Ich sammle Lieder, die die Vögel singen. Ich sammle Geschichten, die der Wind erzählt.“

„Frederick, können Sonnenstrahlen unsere Bäuche füllen? Können Lieder und Geschichten unsere Pfötchen, Nasen und Ohren warm halten? So hilfst du uns nicht. Du bist und bleibst eine faule Maus. Wirst schon sehn. Der kalte Winter wird dir seine Lektion erteilen!“ Und so machten sich die Mäuse wieder an die Arbeit, sammelten und suchten. Nur Frederick nicht. Der lag in seiner Mulde auf seinem Stein und genoss die letzten Herbstsonnenstrahlen.

Die Tage vergingen. Die Blätter vielen von den Bäumen und es dauerte nicht lange, da kam der erste Frost. Die Mäuse hatten sich in ihren Bau zurückgezogen. Sie hatten es warm und weich. Ihre Bäuche waren stets gefüllt. Doch glücklich waren sie nicht. Ihnen fehlte der Frühling. Ihnen fehlte der Sommer. So dunkel, so kalt, so lang war der Winter. Und noch so viele Tage sollte es dauern, bis sie endlich aus ihrem Bau kriechen konnten. Die Sehnsucht nach den warmen, hellen Jahreszeiten wurde so groß. Sie mussten weinen.

Bis auf eine Maus. Frederick kroch aus seiner harten, kalten Ecke im Mäusebau - er hatte ja kein Moos gesammelt. Sein Bauch war ganz leer und flau - er hatte ja keine Vorräte gesammelt. Er setzte sich zu seinen Mäusefreunden und begann zu erzählen. Er erzählte von den Sonnenstrahlen. Wie warm und wohlig sie sich auf dem Fell anfühlen. Er sang die Lieder der Vögel. Er erzählte die Geschichten des Windes. Den Mäusen wurde warm ums Herz. Den ganzen Winter blieben sie beieinander sitzen und lauschten Frederick. Und als Frederick seine letzte Geschichte erzählt hatte, war der Winter schon vorbei. Die Vögel waren zurückgekehrt, die Sonne schien und die Mohnblumen öffneten ihre Knospen. Der Frühling war zurückgekehrt. Und weil Frederick die Sonnenstrahlen, die Lieder und die Geschichten gesammelt hatte, kam der Frühling schneller als jemals zuvor. Zumindest dachten das seine Mäusefreunde.

Wie gut das Frederick so fleißig gesammelt hatte.

Leo Lionni

 

Wie die Sonne ins Land Malon kam

 

„Eine Geschichte erzählt von einem Land, das hieß Malon. Es war ringsum von vielen hohen Bergen eingeschlossen. Die Sonne stieg niemals über die Bergspitzen. So war es in Malon immer dunkel, immer Nacht.


Die Menschen, die hier wohnten, hießen die Malonen. Ihre Gesichter waren wie ihr Land: Dunkel und finster.Keiner konnte den anderen leiden. Jeder war auf den anderen neidisch. Niemand redete mit seinem Nachbarn. Ein jeder hatte eine hohe Mauer um sein Haus gebaut, sodass er ganz allein und einsam war.


Da kam eines Tages ein Wanderer nach Malon. Sein Gesicht war hell und freundlich. Seine Augen strahlten. Die Malonen wunderten sich über den Fremden und sein helles Gesicht. Keiner konnte sich erinnern, dass je ein Besuch zu ihnen gekommen war.


Aber auch der Wanderer war sehr verwundert über das dunkle Land und die finsteren Gesichter. „Wo ist die Sonne“, fragte er. „Scheint sie bei Euch nicht?“„Die Sonne?“, antworteten die Malonen, „davon haben wir noch nie etwas gehört.“

Allein ein alter Malone erinnerte sich, vor langer Zeit von der Sonne gehört zu haben. „Erzähl uns von der Himmelslampe“, bat er den Wanderer.


Der fing an, Sonnengeschichten zu erzählen. „Die Sonne“, sagte er, „geht jeden Morgen am Himmel auf, eine leuchtende, helle Scheibe. Sie schickt Ihr Licht auf die Erde. Sie weckt mit ihren Strahlen die Vögel am Morgen, sodass sie singend den neuen Tag begrüßen. In ihrer Wärme und ihrem Licht öffnen sich die Blumen und Knospen. Die Menschen öffnen ihre Fenster, kommen ins Freie und lassen sich von den warmen Sonnenstrahlen bescheinen. Am meisten aber freuen sich die Kinder. Sie spielen in der warmen Sonne auf der Wiese, im Garten. Sie malen zum Dank auf ihren Bildern immer wieder die Sonne.“

Der Wanderer wusste so wunderbar von der Sonne zu erzählen, dass die Malonen ihren Neid und ihre Feindschaft vergaßen. Sie kamen aus ihren Häusern heraus. Sie setzten sich rund um den Wanderer und baten ihm um immer neue Sonnengeschichten.


Eines Tages freilich musste der Fremde weiterziehen. „Wenn man von der Sonne erzählt“, sagte er, „muss man sie wieder schauen, sonst verblasst ihr Bild in einem.“


Traurig nahmen die Malonen von dem Wanderer Abschied. Was sollten sie nun tun? Sich wieder einschließen in ihren Häusern, jeder für sich, einsam und allein?Nein, das wollten sie nicht. Sie hatten gespürt, beisammen zu sein ist viel schöner!

So beschlossen sie, die Sonne zu bitten, dass sie auch in ihr Land komme. Sie rissen die Mauern rund um ihre Häuser ein und jeden Tag bestiegen sie einen der Berge, der ihr Land einschlossen. Jeden Tag bemühten sie sich, die Berge in gemeinsamer Arbeit ein wenig abzutragen. Jeden Tag standen sie dann abends auf dem Berg und riefen: „Sonne, liebe Sonne mein, komm in unser Land hinein!“ Viele Tage trugen sie viele Tage riefen sie. Sie gaben nicht auf, die Sonne zu bitten.


Und eines Morgens geschah es dann auch. Es wurde hell und heller in ihrem Land. Glänzend und schön stieg die Sonne über den Bergen auf und schickte ihr Licht und ihre Wärme in das dunkle Land hinein. 

Mit der Sonne wurden die Gesichter der Malonen hell. Freude kam in ihr Herz. Sie fielen sich um den Hals. Sie tanzten und sangen.

 

Kleine Morgengymnastik

 

 

Ich stehe mit dem richtigen Fuß auf,
öffne das Fenster der Seele,
verbeuge mich vor allem was lebt,

wende mein Gesicht der Sonne entgegen,
springe ein paarmal über meinen Schatten
und lache mich gesund.

Hans Kruppa

 

Warum die Liebe blind ist und vom Wahnsinn begleitet wird

 

Die Liebe und der Wahnsinn

Es wird erzählt, dass alle Gefühle und Qualitäten des Menschen einmal ein Treffen hatten.

Als die Langeweile zum dritten Mal gähnte, schlug der Wahnsinn vor: “Lasst uns Verstecken spielen.”

Die Intrige hob die Augenbraue und die Neugierde fragte: “Verstecken, was ist denn das?”

“Das ist ein Spiel.” sagte der Wahnsinn. “Ich schließe meine Augen und zähle von 1 bis 100. Inzwischen versteckt Ihr Euch. Wenn ich das Zählen beendet habe, wird der Letzte, den ich finde, meinen Platz einnehmen, um das Spiel fortzusetzen.”

Die Begeisterung und die Euphorie tanzten vor Freude. Die Freude machte so viele Sprünge, dass sie den letzten Schritt tat, um den Zweifel zu überzeugen und sogar die Gleichgültigkeit, die sonst an nichts Interesse zeigte, machte mit.

Aber nicht alle wollten mitmachen: Die Wahrheit bevorzugte es sich nicht zu verstecken, wozu auch? Zum Schluss würde man sie immer entdecken und der Stolz meinte, dass es ein dummes Spiel wäre (im Grunde ärgerte er sich nur, dass die Idee nicht von ihm kam) und die Feigheit zog es vor, nichts zu riskieren.

“Eins, zwei, drei,…”, der Wahnsinn begann zu zählen.

Als Erstes versteckte sich die Trägheit, die sich hinter den ersten Stein fallen ließ. Der Glaube stieg zum Himmel empor und die Eifersucht versteckte sich im Schatten des Triumphes, der es aus eigener Kraft geschafft hatte, bis zur höchsten Baumkrone zu gelangen.

Die Großzügigkeit schaffte es kaum, sich selber zu verstecken, da sie bei allen Verstecken, die sie fand glaubte, ein wunderbares Versteck für einen ihrer Freunde gefunden zu haben: Ein kristallklarer See war ein wunderbares Versteck für die Schönheit. Eine dunkle Höhle, das war ein perfektes Versteck für die Angst. Der Flug eines Schmetterlings das beste Versteck für die Wollust. Ein Windstoß war großartig für die Freiheit.

Der Egoismus dagegen fand von Anfang an einen sehr guten Ort, luftig und gemütlich, aber nur für ihn. Die Lüge versteckte sich auf dem Meeresgrund (stimmt nicht, in Wirklichkeit versteckte sie sich hinter dem Regenbogen). Die Leidenschaft und das Verlangen im Zentrum der Vulkane. Die Vergesslichkeit…, ich habe vergessen, wo sie sich versteckte, aber das ist auch nicht so wichtig.

Als der Wahnsinn “99” zählte, hatte die Liebe noch kein Versteck gefunden. Alle Plätze schienen besetzt zu sein, bis sie den Rosenstrauch entdeckte und gerührt beschloss sich in der Blüte zu verstecken.

“100”, zählte der Wahnsinn und begann zu suchen.

Die Erste, die entdeckt wurde, war die Trägheit, nur drei Schritte vom ersten Stein entfernt. Danach hörte man den Glauben, der im Himmel mit Gott über Theologie diskutierte. Das Verlangen und die Leidenschaft hörte man im Vulkan vibrieren. In einem unachtsamen Moment fand der Wahnsinn die Eifersucht und so natürlich auch den Triumph. Den Egoismus brauchte er gar nicht zu suchen, ganz allein kam er aus seinem Versteck heraus, das sich als Bienennest entpuppt hatte.

Vom vielen Laufen bekam der Wahnsinn Durst und als er sich dem See näherte,
entdeckte er die Schönheit. Mit dem Zweifel war es noch einfacher, ihn entdeckte er auf einem Zaun sitzend, weil er sich nicht entscheiden konnte, auf welcher Seite er sich verstecken sollte. So fand er einen nach dem anderen, das Talent im frischen Gras und die Angst in einer dunklen Höhle.

Nur die Liebe tauchte nirgendwo auf.

Der Wahnsinn suchte sie überall. Auf jedem Baum, in jedem Bach dieses Planeten, auf jedem Berg und als er schon aufgeben wollte, erblickte er die Rosen.

Mit einem Stöckchen fing er an, die Zweige zu bewegen, bis ein Schrei ertönte. Die Dornen hatten der Liebe die Augen ausgestochen.

Der Wahnsinn war hilflos und wusste nicht, wie er seine Tat wieder gutmachen konnte. Er weinte und entschuldigte sich und er versprach ihr, für immer ihr Blindenführer zu sein.

Seit dieser Zeit, seit zum ersten Mal auf Erden Verstecken gespielt wurde,
ist die Liebe blind und wird vom Wahnsinn begleitet.

 

 

Vom Kosmos leben lernen

  

Von der Sonne das Stahlen lernen

Vom Mond das sich Verändern lernen

Von den Sternen lernen einer von vielen zu sein

Von den Wolken das Schweben lernen

Vom Wind lernen, Anstöße zu geben

Vom Sturm die Leidenschaft lernen

Vom Regen lernen, sich zu verströmen

Von den Blumen das Blühen lernen

Von den Bäumen die Verwurzelung lernen

Von den Steinen das Bleiben lernen

Von den Büschen im Frühling das Erneuern lernen

Von den Früchten im Sommer das Reifen lernen

Von den Blättern im Herbst das Loslassen lernen

Von der Erde im Winter das Ruhen lernen

Vom Tag-Nacht-Rhythmus lernen, dass es nach jedem Dunkel wieder hell wird

Von den Jahreszeiten lernen, dass das Leben immer wieder von neuem beginnt...

          nach Ute Latendorfer

 

Die Geschichte vom Sonnenblumenkern

 

In einem Lagerschuppen nahe einem Garten lebte einmal ein zufriedener Sonnenblumenkern. Vielleicht wäre er dort alt geworden, wenn ihn nicht eines Tages der Gärtner ergriffen hätte, um ihn einzupflanzen.

„Es ist an der Zeit“, sagte er zum Sonnenblumenkern. „Heute ist die Stunde gekommen, dein Leben kennen zu lernen – das eigentliche, das erfüllte Leben.“

„Deine Worte ängstigen mich, Gärtner“, entgegnete der Sonnenblumenkern mit zitternder Stimme. „Das Leben kennen zu lernen, scheint mir nicht sehr verheißungsvoll. Hier in dem Lagerschuppen bin ich bei meinen Freunden und fühle mich wohl und geborgen. Das andere ist so ungewiss. Stimmt es, dass man ganz allein in die tiefe dunkle Erde muss?“

„Ja. Und du musst es wagen. Du wirst dein Leben in dieser wohlbehüteten Umgebung nicht finden. Dein Leben will entdeckt und gelebt werden. Du musst dich auf die Suche machen, sonst bleibt alles in dir gefangen. Das Leben würde nie in dir keimen und aufbrechen, wenn du so bleiben willst, wie du jetzt bist. Du wirst es nur finden, wenn du die Mühe des Wachstums auf dich nimmst. Hab Vertrauen! Das Leben ist größer und schöner als alle Angst.“

„Aber wenn du mich eingräbst, dann sterbe ich in der dunklen Einsamkeit der Erde“.

„Was heißt ‚Sterben’? Du siehst es nur von einer Seite. Aus dem Dunkel der Erde wird dein neues Leben wachsen. Du stirbst nicht, sondern wirst verwandelt. Du kannst nicht bleiben was du jetzt bist. Werde das, was du wirklich bist.“

„Das klingt fremd für mich, Gärtner.“

„Leben bedeutet nicht zuerst ‚SEIN’, sondern werden, wachsen, reifen. In dir steckt noch viel mehr als du jetzt zu ahnen vermagst. Du bist ein Kern voll blühender Zukunft, voll unendlicher Lebensmöglichkeiten, die tief verborgen in dir schlummern und nur darauf warten, geweckt zu werden.“

„Aber ist das Licht der Sonne nicht genug, um meine Lebenskraft zu wecken? Warum muss ich in das Dunkel der Erde gelegt werden?“

„So einfach wie du denkst, ist es mit dem Leben nicht. Manches, was dir heute weh tut, kann morgen dein Glück sein. Es ist nicht gerade bequem, die Erfüllung seines Lebens zu finden. Dein Leben ist eine Aufgabe! Du musst dich selber loslassen und etwas wagen, wenn dein Leben sich in seinem ganzen Reichtum entfalten soll.“

Nachdem der Gärtner das gesagt hatte, grub er ein Loch in die Erde und legte den Sonnenblumenkern hinein. Die lange beschwerliche Zeit des Wachstums begann. Viele dunkle, einsame Tage vergingen. Der Sonnenblumenkern merkte allmählich, wie sich tief in seinem Innern etwas regte und bewegte, von dem er nicht sagen konnte, was es war.

Eines Tages durchfuhr ihn ein Schmerz, so stark, dass er glaubte, sterben zu müssen. Aber dann spürte er: Der Panzer seines bisherigen Lebens war durchbrochen. Der Trieb hatte den Kern gesprengt und den Erdboden durchdrungen.

„Das also meinte der Gärtner mit Wachstum und Entfaltung! Wachstum bedeutet, die Schale zu durchbrechen, damit sich der Kern, das eigentliche Wesen, frei entfalten kann.“ Sanft streichelten die Sonnenstrahlen den hellgrünen Trieb, der aus der Erde lugte. Einfühlsam lockten ihn die warmen Strahlen zum Leben. Neue Blätter bildeten sich.

„Noch lebst du nur für dich selbst und verwendest deine ganze Kraft auf die Entfaltung deines Wesens. Aber bald wirst du ganz offen sein für das Lächeln der Sonne, für die Vögel, für den Wind und den Regen. Dann kannst du deine Kerne weitergeben, damit neues vielfältiges Leben gedeihen kann. Dann wirst du blühen, kleine Blumen, und es wird keine einzige Blume im großen Garten geben, die so ist wie du.“

Ein unbekanntes Glücksgefühl durchzitterte die kleine Sonnenblume. Sie fühlte sich so leicht wie das Licht und zugleich so schwer wie die Erde. Und sie dachte an die Worte des alten Gärtners:

„Was in uns verborgen liegt, soll entfaltet werden, damit das Leben glückt!“

 

 

Die Froschwette

 

Eine Schar von Fröschen schloss einmal eine Wette ab, wer als erster den Maibaum erklimmen könne, der solle der König sein.

Die Frösche begannen nun den Maibaum hinaufzuklettern. Eine große Zuschauerschar hatte sich versammelt und rief: „Das schafft ihr nie!“ und wirklich einer nach dem andern rutschte wieder den Maibaum herunter. Nur einer kletterte unverdrossen weiter und er schaffte es tatsächlich bis zur Spitze. Als er wieder herunterkam, fragten ihn die Leute, wie hast du das nur geschafft. Aber der Frosch verstand nichts. Da merkten sie, dass er taub war und nichts von den Rufen der Leute gehört hatte.

Wie Dante Alighieri, ein berühmter Philosoph und Dichter, der von 1265 – 1321 in Ravenna lebte, sagte: Geh deinen Weg und lass die Leute reden